Ahnenforschung: Der Name Speicher

Vor ein paar Jahren hat mir ein Cousin meines Vaters ein Einwohnerbuch von Püttlingen/Saarland (von wo mein Großvater väterlicherseits stammt) der Jahre 1868 bis 1910, die Abschrift eines Vortrages von Jacob Müller mit dem Titel “Die Familie Speicher aus Püttlingen und ihre Verzweigung vor 1730”, der am 24.10.1978 in Saarbrücken vor Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft für Saarländische Familienkunde gehalten wurde, die Kopie eines mit “Speicher” betitelten Familienwappens und einen Stammbaum zugeschickt. Nun habe ich endlich einmal die Zeit und Motivation gefunden, all diese Sachen auszuwerten.

Der Stammbaum reicht zurück bis zu meinem Urururururur-Großvater Martin Speicher, einem Meyer aus Püttlingen, der am 16.03.1760 gestorben ist und am 22.01.1719 eine Irmina Becker aus Ensdorf (Saar) heiratete. Damit wäre meine Abstammung in den vergangenen 250 Jahren schnell erkundet. Allerdings reicht der Stammbaum nicht weiter zurück, da die Taufeinträge im Püttlinger Kirchenbuch erst 1720 beginnen. Daher muss ich im folgenden auf den Vortrag von Jacob Müller zurückgreifen, der unzählige Quellen aus den Jahren vor 1730 ausgewertet und somit die Abstammung meines 6fach-Ur-Großvaters Martin Speicher erörtert hat.

Die Eltern des Martin Speicher waren der 1716 gestorbene Kirchenschöffe Peter Speicher und seine am 09.12.1727 gestorbene Frau Margarethe. Diese wiederum stammen ab von einer Margarethe Speicher, die mit ihrem Bruder Peter (gestorben vor 1664) und ihrer nametlich nie genannten Mutter nach dem dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) in das verlassene Püttlingen zurückkehrten. Der Mann dieser Margarethe Speicher, Michel, hieß ursprünglich Lützenburger und nahm den Namen seiner Frau an. Er war Meyer und wird erwähnt zwischen 1661 und 1669. Margarethe und ihr Bruder Peter waren Enkel des 1613 zuletzt erwähnten Jacob Speicher, der wiederum der Sohn des zwischen 1579 und 1583 erwähnten und vor 1590 gestorbenen Nicolaus Speicher war. Dieser war herrschaftlicher Schultheiß und Meyer in Püttlingen und besaß ein für diese Zeit ungewöhnlich großes Vermögen und Haus. Der Vater von Nicolaus Speicher war Philipp Speicher, der im Jahre 1563 der erste offiziell erwähnte Träger des Namens Speicher in Püttlingen war. Alle zehn der im Jahr 1730 in Püttlingen ansässigen Speicher-Familien gehen auf ihn zurück.

Wappen von Spichern (Lothringen)

Aufgrund der Tatsache, dass die Speicher zu den vermögendsten Leuten und einer der bedeutendsten bürgerlich-bäuerlichen Familien im Ort zählten, schließt Jacob Müller in seinem Vortrag, dass der Ahnherr meiner Familie kein einfacher Mann gewesen sein kann. Dieser war vermutlich der Notar Johanne von Spicher, erwähnt 1387 (also genau 600 Jahre vor meiner Geburt), der im Auftrag des Bischofs von Metz Weistümer über die Besitztümer bischöflicher Lehnsleute verfasste. Auch Püttlingen war ein Lehen der Bischöfe von Metz. Der Nachname des Notars kann sich aufgrund seiner Herkunft nur ableiten vom Lothringischen Ort Spichern, dessen Name sich wiederum ableitet vom lateinischen spicarium, aus dem sich das Mittelhochdeutsche Wort spicher bildete: Kornspeicher. Aufgrund des Status der Familie war es zu dieser Zeit üblich, seinen Nachnamen ins Neuhochdeutsche zu übersetzen, was auch erklären könnte, warum es in Püttlingen die Familie Speicher gab, obwohl die Kornspeicher von der Bevölkerung noch immer Spicher genannt wurden.

Die Herkunft meines Namens ist somit klar. Bleibt nur noch zu erläutern, wo das mir zugesandte Wappen seinen Ursprung hat. Dieses zeigt “in seinem unteren Teil ein Mühlrad, darüber zwei schräg gekreuzte Doppelhaken mit senkrecht stehendem Stab und als Zierde über einem Hut oder Helm einen Mühlknecht zwischen zwei Füllhörnern.” Es ist abgebildet im Dom zu Limburg, wo es an den Stiftsherren Philipp Reinhart von Speicher (1753 bis 1802) erinnern soll und auch in einigen Häusern der Familie Speicher in Püttlingen. Das Wappen wurde dem Vater des Stiftsherren, Johann Josef von Speicher, wahrscheinlich zusammen mit seiner Erhebung in den Adelsstand im Jahr 1775 verliehen (da es zu dieser Zeit adligen Familien vorbehalten war, ein Wappen zu führen). Dessen Großvater hieß Matthias Speicher (gestorben 1704), war Landrenteimeister und “Verwalter der Metzer bischöflichen Güter von St. Remigy” und kam aus Steinfeld im Speyrischen. Die Verwandtschaft dieser Speicher-Familie mit der aus Püttlingen kann nicht zweifelsfrei belegt werden, ist aber höchst wahrscheinlich. Zum einen, da Johanne von Spicher in seiner Funktion als Notar viel herumgereist sein dürfte und es somit leicht möglich war, dass sich einer seiner Nachfahren in Püttlingen und ein anderer in Steinfeld angesiedelt hatte. Und zum anderen, da ein Urenkel des vermögenden Jacob Speicher aus Püttlingen namens Nickel Speicher bei seiner Hochzeit in Bous (Saar) als “Nicolaus Speyer ex Derrenbach” ins Kirchenbuch eingetragen wurde. “Derrenbach” könnte hierbei auf das heutige Dörrenbach, einen Ort in der Nähe von Steinfeld verweisen und “Speyer” auf die gleichnamige Stadt. Zudem wurden auch andere Träger des Namens Speicher aus Püttlingen mit dem Namen “Speyer” in Kirchenbüchern vermerkt. Nimmt man eine Abstammung aus dem Lothringischen Spichern an, so macht das Familienwappen inhaltlich Sinn, da es die Werkzeuge zeigt, die früher dazu verwendet wurden, um die in Kornspeichern gelagerten Ähren (lateinisch spica) zu mahlen. Dennoch ist es nicht das Wappen meiner direkten Vorfahren.


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